Eveline Waterboer

„Als das Wort Gottes erklang“ – Die Bedeutung des Klangs bei Hildegard von Bingen

 

Seit einigen Jahren belegen zahlreiche Publikationen das verstärkte Interesse an Hildegard von Bingen (1098-1179). Neue Forschungsarbeiten lassen erkennen, dass Hildegards Werk keineswegs leicht nachzuvollziehen und zu verstehen ist. Im Gegenteil, es muss festgestellt werden, „daß bei einer ersten Lektüre der Schriften nicht das Vertraute, sondern das Fremde, das ‚Be-fremdende‘ der prägende Eindruck ist“ (M. Zöller). Dabei eröffnet das Sich-Einlassen auf das Fremde Perspektiven und Möglichkeiten, Hildegards Werk neu zu entdecken und unter Berücksichtigung ihres theologischen Gesamtkonzepts auch für die Gegenwart hörbar zu machen. Und so möchte diese Arbeit eine neue ‚Facette‘ sein, ein weiterer Blick auf Hildegards Werk, der – über die Bedeutung ihrer Musik hinaus – die Bedeutung des „Klangs“ (sonus) hervorhebt. Hildegards ‚Klang-Wort‘ steht zwar, zusammen mit den Begriffen „symphonia“ und „harmonia“, in dem Themenkreis „musica“, ist aber vor allem mit dem „verbum Dei“, d.h. mit Gottes Schöpfungswort „Es werde“ (fiat) verbunden. Es enthält, wie die Arbeit im Folgenden darstellen möchte, als Evidenz des Göttlichen nicht nur eine theologische, sondern auch eine anthropologische und kosmologische Dimension und besitzt so zugleich als Ur- und Schöpfungsklang und Urgrund allen Seins metaphysischen Charakter.