Sommerschule Kritische Wohnungsforschung


Theorie und Praxis einer progressiven Wohnungspolitik

Am Institut für Humangeographie der Goethe-Universität Frankfurt am Main wird im Juli 2024 zum dritten Mal die Sommerschule „Kritische Wohnungsforschung – Theorie und Praxis einer progressiven Wohnungspolitik“ stattfinden (vom 23. bis 26. Juli 2024).
Die Veranstaltung richtet sich gleichermaßen an Studierende und Forschende wie auch an Aktivist*innen aus wohnungspolitischen Bewegungen sowie Praktiker*innen aus Wohnungsunternehmen, Verwaltungen, Politik, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft. Ausgangspunkt und Motivation für die Veranstaltung bildet die Beobachtung, dass es zwar eine umfangreiche kritische Wissensproduktion in und außerhalb von Universitäten gibt, die sich intensiv mit der finanzialisierten Wohnungswirtschaft und der Neoliberalisierung der Wohnraumversorgung beschäftigt. Ebenso zeigen die aktuellen Debatten zur Rekommunalisierung und Vergesellschaftung, dass zahlreiche Aktivist*innen und Praktiker*innen konkrete Konzepte entwickelt haben, wie eine marktferne und nicht renditeorientierte Wohnraumversorgung organisiert, gestärkt und mit Fragen der demokratischen Steuerung verbunden werden könnte. Gleiches gilt für die sozial-ökologische Transformation des Wohnens. Allerdings hängt sowohl das Wissen über die Strukturen und Akteure der gegenwärtigen Wohnraumversorgung als auch dasjenige über grundlegende wohnungspolitische Alternativen bislang an relativ wenigen Expert*innen. Für einen wohnungspolitischen Wandel erscheint es uns jedoch geboten, das vorhandene Wissen auf breitere Beine zu stellen. Hierzu einen Beitrag zu leisten, ist Ziel der Sommerschule. Konkret wollen wir dazu das Wissen aus kritischer Wohnungsforschung und anwendungsbezogener Praxis in einen konstruktiven Dialog bringen und in Form von Vorträgen, Diskussionsrunden, Workshops und Exkursionen einem breiteren Publikum zugänglich machen.

Eindrücke zu den ersten beiden Sommerschulen 2021 und 2022, verfasst von Johanna Betz und erschienen in der Zeitschrift sub\urban, finden sich hier: https://zeitschrift-suburban.de/sys/index.php/suburban/article/view/857/1247

Die Anerkennung als Bildungsurlaub ist beim Land Hessen beantragt.
Zeitpunkt: 23. bis 26. Juli 2024
Dauer:3 Tage
Ort:Institut für Humangeographie, Campus Westend, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Veranstalter*innen:Sebastian Schipper, Susanne Heeg und Bernd Belina
Teilnehmer*innen:ca. 50
Teilnahmebeitrag:ca. 20 € (Studierende und andere mit geringen Einkommen) bzw. 40 € (mit höheren Einkommen)
Bei Interesse an der Sommerschule können Sie sich unter folgendem Link bewerben:
http://tinyurl.com/IHG-surveys/online.php?p=2024_Sommerschule

Nach Ablauf der Anmeldefrist (30.04.2024) erhalten Sie weitere Informationen an die angegebene E-Mail-Adresse sowie auch die Bestätigung, ob angesichts begrenzter Kapazitäten eine Teilnahme möglich ist.

Das Programm mit den Rahmendaten und allen Details kann hier als pdf heruntergeladen werden.

Vortrag „Ressource Bestand“ – Astrid Wuttke

Die vorhandene Bausubstanz und deren Weiterentwicklung gewinnen zunehmend an Bedeutung - als kulturelles Erbe, identitätsstiftende und unverwechselbare Orte und in Bezug auf die Aspekte der Nachhaltigkeit. Die Bundesstiftung Baukultur schätzt, dass 2035 nur ca. 8% des Gebäudebestandes Neubauten sein werden (Baujahr 2022 und später). Dementsprechend kommt dem Weiternutzen und Weiterbauen auch in der Wohnungsfrage eine entscheidende Rolle zu. Gebautem mit Respekt und Mut zu begegnen, Potentiale zu erkennen und daraus mit Geschick individuelle, unverwechselbare und neue, eigenständige Lösungen zu entwickeln, bei denen vermeintliche Nachteile zu Qualitäten werden kann gerade auch im Wohnungsbau dabei helfen, zu unkonventionellen und dennoch bezahlbaren Lösungen zu kommen, die aktuellen Bedarfen und Wünschen näher kommen können als charakterlose Neubauten im strengen Korsett der Förderwege.
Astrid Wuttke ist Architektin und geschäftsführende Gesellschafterin der schneider+schumacher Weiterbauen GmbH. Sie ist Mitglied im Hessischen Landesdenkmalrat und im Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) sowie Vorstandsvorsitzende der ernst-may-gesellschaft e.V.

Vortrag „Klimagerechtes Wohnen? Energetische Modernisierung im privatisierten Wohnungsmarkt am Beispiel Kiel-Gaarden“ – Sören Weißermel

Aufgrund des hohen Emissionsanteils privater Haushalte stellt die energetische Modernisierung von Wohngebäuden einen wichtigen Bestandteil der Emissionsreduktion und der Energiewende in Städten dar. Die gesetzliche Modernisierungsumlage erlaubt nach erfolgter Sanierung jedoch dauerhafte Mieterhöhungen, was diese für große Wohnungsunternehmen zu einem wichtigen Instrument der Profitsteigerung macht und in angespannten Wohnungsmärkten zu einer weiteren Verknappung des günstigeren Mietsegmentes führt. Vor dem Hintergrund der städtischen Abhängigkeit von privaten Immobilieninvestitionen problematisiert dieser Beitrag am Beispiel der energetischen Quartierssanierung in Kiel-Gaarden die Verwobenheit von Klima- und Wohnungs-, bzw. Quartierspolitik. Mit dem Begriff des klimagerechten Wohnens plädiert er für eine Perspektive auf (lokale) Klimagerechtigkeit, welche die Konzepte der Wohnungsgerechtigkeit und räumlichen Gerechtigkeit integriert. Sören Weißermel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Stadt- und Bevölkerungsgeographie des Geographischen Instituts an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er beschäftigt sich mit Enteignungen und Widerstand im Rahmen von Entwicklungsprojekten sowie mit Konflikten um städtische Klimapolitik.

Workshop 1 „Klimagerechtigkeit im Wohnungssektor“

Aufgrund des Klimawandels besteht ein großer Druck im Bausektor, nicht mehr primär auf Neubau zu setzen, sondern auch den Bestand klimaneutral umzugestalten. Für Mieter*innen gehen damit Ängste einher, dass sich dies auf die Miethöhe auswirkt. Über eine Verbindung politikwissenschaftlicher und architektonisch-planerischer Perspektiven wollen wir Handlungsspielräume zwischen Klimaneutralität und bezahlbaren Mieten ausloten und danach fragen, welche politischen Möglichkeiten auf Länder- und Bundesebene die sozial-ökologische Ausrichtung des Wohnungssektors entscheidend prägen. Zudem thematisieren wir, welche Veränderungen in der Bauwirtschaft eingeleitet werden müssten, damit diese sich an den aktuellen Herausforderungen ausrichtet (mit Adrian Nägel, Gastprofessor an der TU Berlin, Architects 4 Future; Maren Streibel, Deutsche Umwelthilfe Berlin; Katharina Böttger, Kuratorin, Historisches Museum Frankfurt).

Workshop 2 „Mietenpolitik und energetische Modernisierung“

In der Erfahrung vieler Mieter*innen ist die energetische Ertüchtigung ihrer Wohnungen und Siedlungen verbunden mit monatelangen Einschränkungen und Belastungen im Alltag und nach Abschluss der Bauarbeiten stark ansteigenden Mietpreisen. Im Rahmen der profitorientierten Wohnungsversorgung fungieren energetische Modernisierungen über die anteilige Umlage der Investitionskosten auf die Mieter*innen als Motor von Gentrifizierungsprozessen. Wie kommen wir raus aus diesem Dilemma? Im Workshop widmen wir uns dem sozial-ökologischen Transformationskonflikt zwischen der Umsetzung klimaneutralen Wohnens und sozialgerechter Mietenpolitik im Wohnungsbestand. Gemeinsam mit Irmela Colaço, Leiterin Wohn- und Gebäudepolitik beim BUND, und Leonie Hanewinkel von der Bundesweiten Kampagne „Soziale Wärmewende jetzt!“ diskutieren wir Voraussetzungen und Modelle einer warmmietenneutralen Modernisierung sowie politische Strategien zu deren Durchsetzung. Vor diesem Hintergrund wollen wir anschließend mit Aktivist*innen aus Frankfurt am Main Erfahrungen und Herausforderungen der politischen Basisarbeit und Organisierung von Mieter*innen reflektieren.

Exkursion „Campus Bockenheim – Umbau im Bestand vs. Abriss“

Seit rund 30 Jahren zieht die Goethe-Universität vom Campus Bockenheim weg. Entstehen soll ein „Kulturcampus“, bislang entstanden sind Luxus- und gehobenes Wohnen, ein 4-Sterne-Hotel, Büroräume und, entgegen des städtebaulichen Vertrages, keine einzige Sozialwohnung. Um die verbliebenen Flächen wird intensiv gestritten: Werden das Judiricum und die Dondorf-Druckerei abgerissen oder bleiben sie erhalten, welchen Nutzungen sollen sie zugeführt werden, wohin kommen die geplanten Kultureinrichtungen, die auf den Campus ziehen sollen, wohin die bestehenden, die nicht mehr ins aufgewertete Bild zu passen drohen?

Vortrag „Historische Vorbilder sozialistischer Wohnungspolitik“ – Andrej Holm

Die Geschichte der Wohnungspolitik in Europa ist eine Geschichte der wechselhaften Interventionen des Staates in das Wohnungswesen. Neben technokratischen und reformistischen Ansätzen der Wohnungspolitik gab es in einigen Ländern auch transformative Ansätze, die darauf zielten, die Organisation des Wohnens grundsätzlich von den Marktlogiken zu entkoppeln. Die Erfahrungen des Gemeindebaus im Roten Wien waren historisch keine Ausnahme und Beispiele aus Westeuropa und Skandinavien sowie den Ländern des Realsozialismus zeigen, dass es auch in anderen Ländern kommunale Wohnungsbauprogramme gab, die eine soziale Wohnversorgung priorisierten. Ziel des Vortrags ist es, aus diesen vergessenen Utopien die Überzeugungen, Mechanismen und Instrumente zu destillieren, die auch für eine sozialistische Wohnungspolitik im 21. Jahrhundert Orientierung bieten können. Andrej Holm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Stadt- und Regionalsoziologie des Instituts für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Stadtentwicklung, Gentrification und Wohnungspolitik.

Workshop 3 „Wohnen als soziale Infrastruktur“ – Andrej Holm

In den wohnungspolitischen Debatten und Bewegungen der letzten Jahre ist verstärkt das Schlagwort „Soziale Infrastruktur“ zu vernehmen. Die Grundidee der „Sozialen Infrastruktur“ besteht in einem neuen Verständnis von Sozialpolitik, die nicht länger auf lohnarbeitszentrierten Sicherungssystemen basieren sollte, sondern auf „Einrichtungen, die gewährleisten, dass wichtige Grundbedürfnisse allen Menschen in rechtverbindlich abgesicherter Weise kostenfrei oder zumindest kostengünstig zur Verfügung stehen“ (AG links-netz 2013: 12). Da es bisher – im Unterschied zu den Bereichen Gesundheit, Bildung und Verkehr – noch kein ausgearbeitetes Konzept für das Wohnen als soziale Infrastruktur gibt, soll dieses in dem Workshop in Hinblick auf Grundprinzipien, Trägerstrukturen, Bewirtschaftungsweisen, Zielgruppen sowie Zugangs- und Vergabekriterien entwickelt und diskutiert werden.

Workshop 4 „Herausforderungen der neuen Genossenschaftsbewegung“

Genossenschaften nehmen auf dem Wohnungsmarkt eine Position „dazwischen“ ein. Einerseits bieten sie – qua Rechtsform vom Markt entkoppelt und mit umfangreichen Mitgestaltungsrechten ausgestattet – sicheren und häufig günstigen Wohnraum. Andererseits wurden auch sie von der allgemeinen Neoliberalisierung erfasst. „Traditionsgenossenschaften“ agieren mitunter marktförmiger und undemokratischer als nötig, „Neue Genossenschaften“ sehen sich dem Vorwurf sozialer und ökonomischer Exklusivität ausgesetzt. Im Workshop mit Vertreter*innen von „Traditionsgenossenschaften“ (Michael Wettemann, Frankfurter Wohnungs-Genossenschaft eG), „Neuen Genossenschaften“ (Tobias Bernet, SoWo Leipzig eG/wohnbund e.V.) sowie der Stadt Frankfurt (Sara Schmitt Pacifico, Dezernat Planen und Wohnen) werden Form, Stand und Möglichkeiten diskutiert.

Vortrag „Konzeptverfahren und Herausforderungen gemeinschaftlicher Wohnprojekte“ – Birgit Kasper

Konzeptverfahren sind eine Alternative zur üblichen Höchstpreis- oder Direktvergabe, insbesondere bei der Vermarktung von Liegenschaften durch die öffentliche Hand. Da es kein förmliches Verfahren ist, gibt es zwar bundesweit verschiedene Varianten, aber durchweg aufschlussreiche Erfahrungen damit. Am Frankfurter Beispiel wird erläutert, wie Konzeptverfahren funktionieren und welche Gestaltungsmöglichkeiten sie für eine nachhaltige Quartiersentwicklung bieten.
Birgit Kasper ist Stadtplanerin und Diplom-Verwaltungswirtin und hat längere Zeit in verschiedenen Bereichen der Stadtforschung gearbeitet. Seit 2009 leitet sie die Geschäftsstelle des Netzwerks Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e.V. sowie die Landesberatungsstelle für gemeinschaftliches Wohnen in Hessen und ist im Vorstand des FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e.V. – Bundesvereinigung sowie im Kuratorium der Stiftung trias.

Workshop 5 „Neue Wohnungsgemeinnützigkeit“

Auf der Basis einiger Essentials der Neuen Wohngemeinnützigkeit (NWG) sollen Umsetzungsstrategien diskutiert werden. Unter Einbezug der aktuellen politischen Diskussion werden Fragen der Zuständigkeit (Bund/Länder) und der Finanzierung (Steuerbefreiung und Zuschuss) behandelt. Auch sollen Überlegungen zur gemeinnützigen Orientierung kommunaler Wohnungsunternehmen auch ohne eine NWG-Lösung angesprochen werden.
Jan Kuhnert ist geschäftsführender Gesellschafter der KUB Kommunal- und Unternehmensberatung GmbH (www.kub-beratung.de) in Hannover und kämpft seit Jahrzehnten für eine Gemeinnützigkeit im Wohnungssektor und Mietermitbestimmung in öffentlichen Wohnungsunternehmen. Er war von 1997 bis 2002 Geschäftsführer des hannoverschen Wohnungsunternehmen GBH und – als Folge des Mietenvolksentscheids in Berlin – 2016 bis 2021 Vorstandsmitglied der Wohnraumversorgung Berlin (WVB) – Anstalt öffentlichen Rechts.

Workshop 6 „Vergesellschaftung“

In Berlin gelang es der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ die finanzialisierte Wohnungswirtschaft infrage zu stellen. Im Workshop zu Vergesellschaftung setzten wir uns am Beispiel von Berlin mit den Möglichkeiten auseinander, die Recht und Aktivismus bieten, um gegen diese Wohnungsunternehmen vorzugehen. Die grundlegende Frage ist, wie Wohnen jenseits von Marktprinzipien und für die Bewohner*innen organisiert werden kann. Mit Leonie Hanewinkel von der Bundesweiten Kampagne „Soziale Wärmewende jetzt!“ und Isabel Feichtner, Professorin für Öffentliches Recht und Wirtschaftsvölkerrecht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Exkursion Nordend: „Die Grüne Lunge: Solidarisches Quartier statt Neubau-Gentrifizierung“

Auf dem Stadtrundgang erkunden wir sozial-ökologische Konfliktlinien, die sich rund um das Areal „Grüne Lunge“ aufspannen, welches derzeit teils verwildert ist und teils für Klein- und Gemeinschaftsgärten genutzt wird. Nachdem die ursprünglich geplante, hochpreisige Bebauung 2021 von verschiedenen Initiativen aufgrund erwartbarer sozialer und ökologischer Folgeschäden verhindert werden konnte, berichten wir nun über den Versuch, Perspektiven und politische Forderungen für das Areal der Grünen Lunge zu erarbeiten.

Kooperationspartner


Kontakt

Institut für Humangeographie
Fachbereich Geowissenschaften/Geographie
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Campus Westend

Theodor-W.-Adorno-Platz 6
60623 Frankfurt am Main

Fon: +49 (0)69/798 -35179/-35162
Internet: www.humangeographie.de
E-Mail: info@humangeographie.de