Projekt unter Beteiligung der Goethe-Universität erhält Horizont 2020-Förderung über 3,2 Millionen Euro
FRANKFURT. Das
europäische Forschungsprojekt „Working, Yet Poor“ (WorkYP) erhält im Rahmen des
EU-Programms Horizont 2020 Fördermittel in Höhe von 3,2 Millionen Euro für die
nächsten drei Jahre. Untersucht werden die sozialen und rechtlichen Gründe
dafür, dass immer mehr EU-Bürger trotz Erwerbstätigkeit armutsgefährdet sind.
Ein Teilprojekt leitet Jura-Professor Bernd Waas von der Goethe-Universität.
Fast zehn Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung der EU waren 2017
von Armut bedroht, das entspricht etwa 20,5 Millionen EU-Bürgern. Außer den
negativen Folgen für den Einzelnen wie soziale Ausgrenzung und mangelnde
Teilhabe gefährdet Armut trotz Erwerbstätigkeit auch ein wesentliches Merkmal
der EU-Staatsbürgerschaft: den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben. Bevor
dagegen staatliche Maßnahmen ergriffen werden können, müssen zunächst die
Ursachen verstanden werden. Dazu will das WorkYP-Projekt beitragen.
„Die Länder ergreifen bestimmte Maßnahmen, um Armut trotz
Erwerbstätigkeit zu verhindern. Aber es gibt keinen festgelegten Ansatz zur
Verringerung oder Beseitigung. Die EU-Mitgliedstaaten benötigen – individuell
und gemeinschaftlich – ein besseres Verständnis des Problems, ein Verständnis,
das auf sachbezogenen Daten beruht und es ihnen ermöglicht, das Problem zu
kontrollieren und erfolgreich dagegen vorzugehen“, sagt Luca Ratti, Koordinator
des WorkYP-Projektes und Associate Professor für Europarecht und vergleichendes
Arbeitsrecht an der Universität Luxemburg.
Die Verteilung der Armut trotz Erwerbstätigkeit fällt in Europa
sehr unterschiedlich aus, was auf unterschiedliche soziale und rechtliche
Systeme oder Maßnahmen zur Armutsbekämpfung zurückzuführen ist. Waren in
Luxemburg im Jahr 2018 13,4% der erwerbstätigen Bevölkerung von Armut bedroht,
waren es in Belgien im gleichen Zeitraum nur 5,2%. Die Gründe für diese
Unterschiede wurden noch nicht ausreichend untersucht. Im Rahmen des
WorkYP-Projekts werden nun sieben repräsentative Länder mit unterschiedlichen
Sozial- und Rechtssystemen (Luxemburg, Belgien, Deutschland, Italien, die
Niederlande, Polen und Schweden) analysiert, um Best-Practice-Lösungen zur
Bekämpfung der Armut trotz Erwerbstätigkeit in allen Systemen vorzuschlagen.
„Mit dieser Studie wollen wir die EU-Mitgliedstaaten und die EU als Ganzes dabei
unterstützen, ihre Politik und ihre regulatorischen Maßnahmen gezielter
einzusetzen“, erklärt Ratti.
Im Rahmen des WorkYP-Projekts wurden Personengruppen ermittelt,
bei denen ein höheres Risiko für Armut trotz Erwerbstätigkeit besteht und auf
die sich die Analyse konzentrieren wird. Hierzu zählen Niedriglohnarbeiter,
Selbständige, Personen mit befristeten oder flexiblen Arbeitsverträgen sowie
Gelegenheitsarbeiter oder „Null-Stunden-Arbeiter“. Da Frauen häufiger in
Niedriglohnberufen beschäftigt sind oder mit ungleichen Arbeitsbedingungen zu
kämpfen haben, werden bei der Untersuchung die Zusammensetzung der Haushalte
und das Einkommen berücksichtigt.
Luca Ratti wird von Luxemburg aus ein multinationales und
interdisziplinäres Team leiten unter Beteiligung von acht europäischen
Universitäten (Frankfurt, Bologna, Leuven, Rotterdam, Tilburg, Danzig und Lund)
sowie drei in Europa tätigen Institutionen für soziale Rechte.
Im Rahmen des Projekts wird die Goethe-Universität eine wichtige
Rolle innehaben. Zum einen wird sie die Projektführung für den Bereich
übernehmen, welcher der Betrachtung der Arbeitnehmer mit atypischen
Arbeitsverträgen gewidmet ist. Zum anderen wird sie die Arbeit der Experten bei
der vergleichenden Analyse der verschiedenen Modelle zur Bekämpfung der Armut
am Arbeitsplatz und der Systeme zur Gewährung eines Mindestlebensstandards und
eines Mindestkatalogs an sozialen Rechten koordinieren. Insgesamt fließen an
die Goethe-Universität 320.000 Euro aus den Projektmitteln. Professor Waas, der
bereits das arbeitsrechtliche Expertennetzwerk der Europäischen Kommission
leitet und auch die Arbeiten an einem sogenannten Restatement des Arbeitsrechts
in Europa koordiniert, freut sich auf die zusätzliche Aufgabe: „Die Tage werden
etwas länger, aber es wird sich lohnen“, sagt er. „Gerade im Zusammenhang mit
der rasanten Digitalisierung der Arbeitswelt und dem Entstehen ganz neuer
Beschäftigungsformen stellen sich zahlreiche Probleme, auf die dringend
Antworten gefunden werden müssen“.
„Ich freue mich, dass die Goethe-Universität bei einem so
wichtigen europäischen Forschungsprojekt mit an Bord ist. Für die Zukunft
Europas sind menschenwürdige Arbeits- und Lebensverhältnisse in allen Ländern
der Gemeinschaft von elementarer Bedeutung“, sagt Prof. Simone Fulda, als
Vizepräsidentin der Goethe-Universität zuständig für den Bereich Forschung.
Horizont 2020 ist das Rahmenprogramm der Europäischen Union für
Forschung und Innovation, das 2014 ins Leben gerufen wurde und
Kooperationsprojekte in Forschung und Innovation fördert. Teilnahmeberechtigt
sind Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Unternehmen. Horizont 2020
finanziert jährlich 6.000 Projekte. Luxemburgische Einrichtungen haben bereits
rund 40 Millionen Euro für mehr als 120 Projekte erhalten.
Ein
Porträt von Prof. Waas finden Sie unter dem folgenden Link:
http://www.uni-frankfurt.de/83491970
Bildtext: Prof. Bernd Waas, Arbeitsrechtler an der Goethe-Universität,
leitet das Frankfurter Teilprojekt des Horizont 2020-Vorhabens „Working, yet
poor“.
Informationen: Prof. Dr. Bernd Waas,
Lehrstuhl für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht, Institut für Zivil- und
Wirtschaftsrecht, Fachbereich Rechtswissenschaft, RuW-Gebäude, Campus Westend,
Telefon 069-798 34232, E-Mail sekretariat-waas@jura.uni-frankfurt.de