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Forschung

Sep 19 2012
16:32

Der Philosoph Martin Seel erläutert in „Forschung Frankfurt“, warum das Geld eigentlich ein „ethisches Neutrum“ ist

Geld hat keine Tugend – hilft aber, großzügig zu sein

FRANKFURT. „Es sich leisten zu können, großzügig zu sein: Das wäre der ethische Sinn des Geldes, wenn es denn einen hätte“, schreibt Martin Seel, Philosophieprofessor an der Goethe-Universität, in seinem Essay für die aktuelle Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Forschung Frankfurt“ (FF 2/2012). Der Philosoph und Autor kennt sich mit Tugenden und auch mit Lastern aus. Der Erfolg seines Buches „111 Tugenden, 111 Laster – Eine philosophische Revue“ darf als Beweis dafür gelten. Doch Geld für sich genommen sei eben, wie Seel nüchtern konstatiert, ein „ethisches Neutrum“. Deshalb auch hat er seiner, so der Untertitel, „anthropologischen Betrachtung“ den fast schon programmatischen Titel gegeben: „Geld hat keine Tugend“.

Das eigentlich tugendneutrale Geld kann gleichwohl der Tugend selbst und ebenso dem Laster zu Diensten stehen. Die eindeutige Zuordnung geldgebundenen Handelns in Tugend oder Laster fällt dabei nicht immer leicht. Auch davon handelt der Text Martin Seels, der mit zwei Milliarden Schulden beginnt, Gier und Geiz auf fast dieselbe moralische Stufe stellt und am Ende in ein Lob der Großzügigkeit mündet.

Einer Anekdote nach begegnete der eigentlich steinreiche amerikanische Baulöwe Donald Trump einmal einem offensichtlich mittellosen Bettler. Trump – Wahlspruch: „Lunch is for losers“ – hatte sich gerade übel verspekuliert und stand mit satten zwei Milliarden in der Kreide. So gesehen war der Bettler eigentlich reicher – was diesem aber, so darf man annehmen, herzlich wenig nützte und Trump nicht übermäßig schadete. Denn auch ein Pleitier sei in unserer Gesellschaft immer noch ein Geschäftsmann, wie Seel resümiert, mit mächtigen Freunden, „die ihm wieder auf die Beine helfen – wie es im Falle Trumps denn auch geschah“.

Die Menge oder der Mangel an Geld allein sage nichts über den Charakter eines Menschen aus, und auch nicht über den Charakter der Epoche oder der Gesellschaft, in der er lebe, so Seel. Erst der individuelle oder kollektive Umgang mit Geld und anderen Schätzen mache den Grad der Tugend- oder Lasterhaftigkeit ökonomischer Verhältnisse aus. Gier und Geiz seien dafür gute Gradmesser. Die Gier – außer der nach Geld noch Habgier und auch Ruhmsucht – strebe nach Früchten des Glücks, die im Augenblick ihres Genusses verfaulten. Keines dieser Bestreben kann folglich Befriedigung finden. Die Gierigen können nicht genug kriegen; der Umschlag von Quantität in Qualität will ihnen einfach nicht gelingen.

Was auf der Ebene der Individuen gilt, kann auch auf Institutionen wie Banken zutreffen, wofür, so Seel, „die letzten Dekaden reichlich Anschauungsmaterial geboten haben“. Der Philosoph zieht ähnliche Schlüsse wie der Soziologe Sighard Neckel (siehe das Interview „Gier: Eine Emotion kommt ins Gerede“ in derselben Ausgabe von „Forschung Frankfurt“). Als Teil der „systemischen Imperative“, so formuliert es Seel, fresse hier „die Gier ihre eigenen Gewinne, um sich, wenn die Blase geplatzt ist, unter den Rettungsschirmen der internationalen Gemeinschaft für die nächste Jagd fit zu halten“.

Wenn die Gier das eine Extrem ist, könnte man den Geiz am anderen Ende der Skala verorten. Aber vielleicht schließt sich ja hier auch der Kreis wieder. Für Seel ist der Geiz „das Laster einer abartigen Vermeidung von Lastern“, folglich „ein Anti-Laster und darum eines der größten Laster“. Nicht genug damit, dass der Geizige in seiner „grotesken Maßhaltung“ für sich selbst nichts ausgibt, „weil ihm schon der Genuss seiner Besitztümer als unziemliche Völlerei erscheint“. Für ihn ist auch „Freigebigkeit bloße Verschwendung“. In den Augen des Geizigen ist der, der in Not gerät oder Schulden hat, selber schuld, „also wird er sich durch die Unterstützung dieser Versager nicht seinerseits schuldig machen“.

Der Essay Martin Seels umfasst sieben kurze Kapitel. Das letzte ist der Großzügigkeit gewidmet. Sie sei, so Seel, „ein Verhalten, das sich der Logik des Geldes und seiner Vermehrung oder auch Verschwendung entzieht“. Denn Großzügigkeit sei Freigebigkeit weit über alles Ökonomische hinaus. Wer diese Tugend besitze, sei generös nicht nur mit materiellen, sondern ebenso mit geistigen und sozialen Gaben. Martin Seel: „Großzügige Menschen müssen darum überhaupt keine begüterten Menschen sein. Sie sind nicht großzügig, weil sie reich, sondern reich, weil sie großherzig sind.“

Informationen: Prof. Martin Seel, Institut für Philosophie, Campus Westend, Tel.: (069) 798-32770 , seel@em.uni-frankfurt.de, www.philosophie.uni-frankfurt.de/lehrende_index/Homepage_Seel/index.html

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