Projekt 6

​Die Auswirkungen von Sozialstruktur, Diskriminierung und Gewalt auf die deutsch-muslimische Gemeinschaft (FOR5173)

Die Religiosität und religiöse Identität westeuropäischer Muslime hat im öffentlichen Diskurs zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen. Doch trotz umfangreicher Forschungen in den letzten zehn Jahren bleibt die starke Bewahrung religiöser Traditionen durch Muslime ein ungelöstes Puzzle in den westeuropäischen Einwanderungsgesellschaften. Eine vorherrschende Erklärung dafür ist die Diskriminierung oder Ausgrenzung muslimischer Einwanderer durch die Mehrheitsbevölkerung. Über die oft individuell erlebte Diskriminierung in Alltagssituationen hinaus sind muslimische Menschen jedoch einer schwerwiegenderen und zunehmend sichtbaren Form von Fremdenfeindlichkeit ausgesetzt: Gewalt und Terrorakte, die sich explizit gegen Muslime richten. Darüber hinaus versuchen radikal-islamische Terrororganisationen, diesen Teufelskreis anzuheizen. Gefangen zwischen einer Fraktion radikalisierter Muslime und feindseligen, islamfeindlichen Elementen der Mehrheitsbevölkerung, befinden sich säkulare Teile der muslimischen Bevölkerung in einer misslichen Lage, in der sie Ressentiments und Druck von verschiedenen Seiten spüren. 

Überraschenderweise gibt es jedoch kaum empirische Untersuchungen darüber, wie sich diese doppelte Gewaltbedrohung auf Muslime in Deutschland auswirkt. Das vorgeschlagene Forschungsprojekt adressiert Kernfragen innerhalb dieser Forschungslücke: Wie verändert religiös motivierte Gewalt die religiöse Identität? Wie wirken sich Identität, Diskriminierung und Gewalt auf zivilgesellschaftliches oder politisches Verhalten aus? Und wie variieren diese Reaktionen mit der sozialen Position, die der Einzelne einnimmt? Schließlich hat die soziale Mobilität die deutsche Gesellschaft grundlegend verändert und diversifiziert. Das gilt auch für die größte muslimische Einwanderergruppe, die so genannten Gastarbeiter türkischer Herkunft und ihre Nachkommen. Heute bekleiden viele muslimischstämmige Zuwanderer aller Generationen ein breites Spektrum an Positionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, so dass die Religion viele andere Dimensionen durchschneidet, die für die soziale Identität des Einzelnen potenziell relevant sind. 

Wir bauen auf dem theoretischen Rahmen der übergreifenden Forschungseinheit "Reconfiguration and Internalization of Social Structure" (RISS) auf und erweitern ihn, indem wir beleuchten, wie exogene Ereignisse, wie islamistische und antimuslimische Gewalt, den Zusammenhang zwischen sozialer Struktur, Identität und Verhalten stören. Das vorgeschlagene Projekt untersucht diese Fragen anhand einer Originalbefragung von deutschen Muslimen, die wir im Rahmen des RISS Internalization Survey erheben werden. Wir wenden eine innovative Messstrategie unter Verwendung eines Conjoint-Experiments an, um die Bedeutung der Religion innerhalb der multidimensionalen sozialen Identität von Individuen zu schätzen. Darüber hinaus wird in der von uns vorgeschlagenen empirischen Analyse ein experimentelles Design verwendet, um zu untersuchen, wie die soziale Identität sowie politische Präferenzen und Verhaltensweisen mit der Wahrnehmung von Gewalt und Diskriminierung verbunden sind.