Unschlüssige Quanten bei tiefen Temperaturen

Physiker Cornelius Krellner publiziert in Science

Veröffentlicht am: Dienstag, 26. Februar 2013, 15:26 Uhr (05)

In Ytterbiumnickelphosphid gibt es einen bislang nicht für möglich gehaltenen quantenkritischen Punkt zwischen Ferromagnetismus und dem unmagnetischen Zustand

Was hat das Schmelzen von Eis mit Hochtemperatur-Supraleitung gemeinsam? Nichts, und doch gibt es eine seltsame Verbindung. Dieses große, ungelöste Rätsel der Physik und andere Quantenphänomene haben mit sogenannten Phasenübergängen zu tun, zu denen auch das Schmelzen von Eis zählt. Allerdings sind es „Quantenphasenübergänge“, die eng mit solchen Quantenphänomenen verknüpft sind. Sie existieren ganz am unteren Ende der Temperaturskala, am absoluten Nullpunkt. Physiker vom Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden, darunter der kürzlich nach Frankfurt Berufene Cornelius Krellner, haben nun ein exotisches Material erschaffen: Bei extrem tiefen Temperaturen weiß es nicht, ob es einen Phasenübergang in einen magnetischen Zustand durchlaufen soll oder nicht. Es befindet sich an einem Quantenkritischen Punkt. Solche seltsamen Zustände gelten als Schlüssel zum besseren Verständnis exotischer Phänomene wie der Hochtemperatur-Supraleitung, bei der ein Material schon bei relativ hohen Temperaturen seinen elektrischen Widerstand verliert.

Zur Zeit erleben wir fast täglich, dass Schnee und Eis zu Wasser schmelzen oder Wasser umgekehrt zu Eis gefriert. Genau betrachtet ist so eine Änderung der Eigenschaften dramatisch, in der Physik heißt sie Phasenübergang. Ganz allgemein sorgt eine steigende Temperatur erst für Schmelzen und später Verdampfen, das gilt für Wasser wie für andere Materialien. Wie in jedem Festkörper sind die Moleküle in Eis ordentlich in ihren kristallinen Positionen eingeparkt. Zufuhr von Wärmeenergie löst sie aus diesen Parkpositionen und treibt sie in einen zunehmend wimmelnden Molekülverkehr: Das Eis schmilzt zu flüssigem Wasser. Phasenübergänge sind also Übergänge zwischen Zuständen mit unterschiedlichem Ordnungsgrad.

Für Phasenübergänge interessiert sich auch Manuel Brandos „Kompetenzgruppe Extreme Bedingungen“ am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden. Allerdings sind diese „Quantenphasenübergänge“ so extrem wie rätselhaft. Um sie zu erforschen, müssen die Physiker ihre Proben äußerst niedrigen Temperaturen aussetzen. Das Phänomen, das die Dresdner hierfür sozusagen als Labormaus benutzen, kennen wir ebenfalls aus dem Alltag. Es ist der Magnetismus, sogar in seiner sinnlich erfahrbaren Form, die präzise Ferromagnetismus heißt – nach dem lateinischen Wort ferrum für Eisen. Auch Ferromagnetismus basiert auf einer gewissen Form von Ordnung.

Viele exotische Phänomene sind mit einem Quantenkritischen Punkt verknüpft

Beim Eisen geschieht der Phasenübergang vom unmagnetischen („paramagnetischen“) zum ferromagnetischen Zustand unterhalb von 770 Grad Celsius oder 1043 K (K steht für die Kelvin-Temperaturskala). Gefriert Wasser zu Eis, so bleibt die Temperaturanzeige so lange hängen, bis das Wasser so viel Wärme abgegeben hat, dass es vollständig erstarrt ist. Dieser energieintensive Temperaturhänger heißt Phasenübergang erster Ordnung. Die Entstehung von Ferromagnetismus zeichnet sich dagegen durch Abkühlen ohne einen solchen Hänger aus. Dieses über die Temperaturskala gleitende Verhalten ist das Kennzeichen eines Phasenübergangs zweiter Ordnung.

Mit solchen Phasenübergängen zweiter Ordnung hat auch das Phänomen zu tun, dem die Dresdner Physiker auf der Spur sind. Es heißt Quantenkritischer Punkt, und es existiert eigentlich nur am absoluten Temperaturnullpunkt. „An einem Quantenkritischen Punkt ist das Merkwürdige, dass er sich bei viel höheren Temperaturen auswirkt“, sagt der Doktorand Alexander Steppke: „Viele exotische Phänomene sind damit verknüpft.“ Eines davon ist die immer noch rätselhafte Hochtemperatur-Supraleitung, die sich in vergleichsweise warmen Temperaturgefilden bis zu 135 Kelvin (minus 138 °C) wohlfühlt.

Ein Quantenkritischer Punkt zeichnet sich allgemein dadurch aus, dass die Grenze zwischen zwei verschiedenen Quantenphasen verschwindet. Im Fall der Dresdner kann sich die Probe an diesem Punkt nicht mehr entscheiden, ob sie unmagnetisch oder ferromagnetisch sein will. Grundsätzlich darf bei so einem Quantenphasenübergang nicht mehr wie beim Eis Wärmeenergie den Antrieb liefern, denn solche Übergänge existieren nur am absoluten Temperaturnullpunkt. Das sind 0 Kelvin oder minus 273,15 Grad Celsius.

Fremdatome im Kristallgitter setzen das Material unter einen negativen Druck

Die Dresdner müssen also einen anderen Hebel ansetzen, und das ist der Druck. Eine mechanische Presse scheidet dabei jedoch aus. „Erstens benötigen wir gewaltige Drücke im Bereich von Gigapascal“, sagt Steppke. Mit solchem Druck presst die Industrie Kohlenstoff zu Diamant. „Zweitens brauchen wir diese Drücke auch noch in negativer Form“, erklärt der Physiker weiter: „Wir müssen die Probe sozusagen kraftvoll entspannen.“ Das geht nur mit „chemischem Druck“. Am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden gibt es dafür in der „Kompetenzgruppe Materialentwicklung“ unter der Leitung von Christoph Geibel Spezialisten. Darunter ist auch Cornelius Krellner, der letztes Jahr an die Goethe-Universität Frankfurt berufen wurde und seitdem das Kristall- und Materiallabor am Physikalischen Institut leitet. Er stellt die Materialien in ihrer reinsten Form, als Einkristalle, her. In diese Einkristalle werden dann gezielt Fremdatome eingeschleust, die den Druck im räumlichen Kristallgitter senken. Die Kunst besteht darin, trotz dieser gewollten Verunreinigung die sonstigen Eigenschaften der Proben nicht zu verändern. „Dass so etwas funktioniert haben wir bereits an einigen Materialien erfolgreich demonstriert“, sagt Krellner.

Für ihr Experiment mussten die Dresdner noch einen Weltrekord schaffen und ein nie dagewesenes Material designen. Anders als zum Beispiel Eisen wird dieses neue Material erst in der Nähe des absoluten Temperaturnullpunkts ferromagnetisch. Cornelius Krellner hat in den letzten Jahren gezielt nach so einem Material gesucht und schließlich gefunden. „Das neue Material Ytterbiumnickelphosphid  hat die niedrigste Curie-Temperatur, die je beobachtet wurde!“ sagt Brando. Diese nach dem französischen Physiknobelpreisträger Pierre Curie benannte Temperatur beschreibt den Punkt, an dem der Phasenübergang zum Ferromagneten stattfindet. Was aber erzeugt den Magnetismus?

Spins können sich auch am absoluten Nullpunkt noch drehen

Dafür sind magnetische Atome im Kristall verantwortlich, hier das Ytterbium. An solchen Atomen sitzen Elektronen, die sich wie drehbare, winzige Elementarmagnete verhalten. Ihre „Spins“, die für ihren Mikromagnetismus sorgen, spüren sich gegenseitig. Beim Ferromagneten drehen sich deshalb alle diese Spins in eine Richtung, und ihre kollektive Ordnung sorgt für den Magnetismus im Großen. Beim Ytterbiumnickelphosphid, kurz YbNi4P2, liegt nun dieser ferromagnetische Übergang so nahe am absoluten Temperaturnullpunkt, dass ein weiterer berühmter Quanteneffekt zuschlägt: die Heisenbergsche Unschärferelation. Eigentlich wäre bei dieser extremen Kälte nämlich gar kein Phasenübergang mehr möglich. Denn wo Wärmeenergie fehlt, friert jegliche Bewegung ein. Die Elektronenspins könnten also gar nicht mehr zwischen Ferromagnetismus und unmagnetischer Unordnung hin und her schalten. „Wegen der Unschärferelation ist aber ihre Energie nicht ganz genau bestimmt“, sagt Steppke, „und deshalb können sie sich doch drehen.“

Mit diesem ausgefeilten Experiment gelang es den Dresdnern erstmals, einen quantenkritischen Punkt im Übergang zwischen Ferromagnetismus und dem unmagnetischen Zustand in einem Metall zu beobachten. Gängige Theorien hatten dessen Existenz bislang ausgeschlossen, sie müssen nun verbessert werden. Die Dresdner Grundlagenforscher hoffen, dass sie mit solchen Experimenten auch zur Lösung des Rätsels um die Hochtemperatur-Supraleitung beitragen können.

Bild 1:

Cornelius Krellner an einer Kristallzuchtanlage im Frankfurter Kristall- und Materiallabor. Damit werden die Materialien aufgeschmolzen und langsam als Einkristalle aus der Schmelze gezogen.

© Sven Moschitz / BILD-Zeitung

Bild 2                                                                                    

Messgeräte für extreme Dimensionen: Die Thermische Expansions-Zelle (links) ermöglicht es, bei Temperaturen zwischen sechs und 0,05 Kelvin – das sind minus 267,15 beziehungsweise minus 273,1 Grad Celsius – Längenveränderungen von weniger als einem Nanometer, also einem Millionstel Millimeter, zu messen. So können sie den Phasenübergang zwischen ferromagnetischem und paramagnetischem Zustand beobachten, bei dem sich auch das Volumen der Probe ändert. Mit dem Instrument rechts messen die Forscher bei hohen magnetischen Feldern und tiefen Temperaturen, wieviel Wärme ihre Probe aufnimmt oder abgibt. Das verrät den Forschern, welche Art Phasenübergang das Material durchläuft.

Bild: MPI für chemische Physik fester Stoffe

Bild 3:

Die komplexe Kristallstruktur von Ytterbiumnickelphosphid der Zusammensetzung YbNi4P2 zeigt, wie die Dresdner Forscher den Übergang zum Ferromagneten sozusagen auf der Temperaturskala „tieferlegten“. In Richtung des roten Pfeils bilden die Ketten der Ytterbium-Atome perfekt linienförmige, nahezu eindimensionale Ferromagneten. Diese Ketten spüren gegenseitig den Magnetismus ihrer Nachbarketten, allerdings nur schwach. Daher schaffen sie es nicht, sich bei höheren Temperaturen kollektiv zu einem großen Ferromagneten zu ordnen. Erst in der Nähe des absoluten Temperaturnullpunkts, an dem die störende Wärmebewegung aller Atome nahezu einfriert, kann der ferromagnetische Phasenübergang wie gewünscht gelingen.

Bild: Alexander Steppke/ MPI für chemische Physik fester Stoffe

Publikation:

Alexander Steppke, Robert Kühler, Stefan Lausberg, Edit Lengyel, Lucia Steinke, Robert Borth, Thomas Lümann, Cornelius Krellner, Michael Nicklas, Christoph Geibel, Frank Steglich, Manuel Brando: Ferromagnetic Quantum Critical Point in the Heavy-Fermion Metal YbNi4(P1−x Asx)2, Science, 22. Februar 2013, DOI: 0.1126/science.1230583

Adaptierte Version einer Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft.